Reinisch-Reisetagebuch 2014

Wer Pater Franz Reinisch und seine Gewissentscheidung verstehen möchte, und das ist in einem Seligsprechungsprozess unabdinglich, der muss den Menschen in seiner Ganzheit kennenlernen. Dazu gehört die Zusammenstellung einer lückenlosen Biographie, das Sichten persönlicher Unterlagen, die Betrachtung von Familienfotos, das Befragen von Zeugen, Nachfahren und Verehrern und die Prüfung aller historischen Fakten. Der Postulator Prof. P. Dr. Heribert Niederschlag und sein Vizepostulator P. Adalbert Kordas greifen im Seligsprechungsprozess für P. Franz Reinisch glücklicherweise auf eine jahrzehntelange Vorrecherche durch engagierte Pallottiner- und Schönstatt-Priester zurück. Jetzt, da es in die entscheidende Phase in der “Causa Reinisch” geht, muss das Lebens-Puzzle des mutigen Priesters fein säuberlich zusammengesetzt werden. Dazu gehört auch, dessen Lebens-Fundament unter die Lupe zu nehmen, seine Heimat.

Am 21. April 2014 hat sich eine kleine Gruppe Reinisch-Reisender aufgemacht, zu einer ersten Etappe an die Orte der Kindheits-, Jugend- und Priesterjahre von Franz Reinisch.

Die Reinisch-Reisenden:

• Prof. P. Dr. Heribert Niederschlag, Postulator im Seligsprechungsprozess

• Martin J. Emge, Regens im Erzbistum Bamberg; Reinisch-Kenner und -Verehrer

• Pascal Nachtsheim, Kameramann

• Angela Nachtsheim, Fotografin

• Angela Marlier, Redakteurin und Assistentin im Seligsprechungsprozess

Unser Ziel: P. Franz Reinisch noch näher kennen- und verstehen zu lernen

Unsere Zielorte: Innsbruck, Brixen und Bozen

Unsere Aufgaben: die Befragung von Verehrern, Zeitzeugen und Nachfahren, die Produktion eines Films über P. Franz Reinisch

Mit dieser Reise haben wir uns auf die erste Etappe auf dem Lebensweg unseres Franz Reinisch begeben. Was wir erlebt haben, das möchten wir Ihnen gerne verraten und öffnen für Sie unser Reisetagebuch.

Ostermontag, 21. April 2014

Es geht los. Nach monatelanger Vorbereitung – inklusive dem Aufspüren von Zeitzeugen, Verehrern und Nachfahren, dem Festlegen der Drehorte, dem Einholen der Drehgenehmigungen – soll es endlich auf Reinisch-Reise gehen. Wir haben uns entschlossen, bereits am Ostermontag loszufahren, um gleich am nächsten Tag ausgeruht und entspannt nach kurzer Fahrstrecke mit unserem Vorhaben beginnen zu können. Um 13 Uhr ist Abfahrt in Vallendar-Schönstatt. Ein letztes Adieu an Pater Reinischs Grabstätte und die Reise beginnt.

Ein langer Weg lag vor uns. Wir hatten vor, am Abend im rund 640 Kilometer entfernten Maurach am Achensee anzukommen, und dort die schon vorausgefahrenen Reisegefährten Angela und Pascal Nachtsheim zu treffen. Wir indes (wir, das sind Prof. P. Dr. Heribert Niederschlag und Angela Marlier) hatten auf unserem Weg einen Zwischenstopp in Bamberg geplant, um Regens Martin J. Emge an seiner Wirkunsgstätte, dem Priesterseminar, abzuholen. Dort trafen wir auch am späten Nachmittag mit viel Rückenwind und prächtiger Laune ein. Nach einer nur kurzen Pause, wir mussten ja noch ein paar Kilometer bis zu unserem endgültigen Tagesziel hinter uns bringen, luden wir Regens Emge samt Koffer und Warnweste (wir hatten gehört, die Italiener seien bei einer PKW-Kontrolle damit sehr pinibel und wir wollten in dieser Woche in der Tat ja noch die Grenze nach Süd-Tirol überschreiten – und zwar bußgeldfrei!) ins Auto und weiter ging es in Richtung Österreich.

Gegen 21 Uhr erreichten wir endlich unser erstes Ziel: Maurach am Achensee. Hier trafen wir im Nothburgaheim, unserem Quartier für die erste Nacht auf der Reise, auf Angela und Pascal Nachtsheim. Nach einer freudigen Begrüßung, einem ersten Austausch über die jeweiligen Reisebedingungen und dem Verstauen der Koffer auf den vorbereiteten Zimmern, war uns allen erst einmal nach einer kräftigen Stärkung. Und die fanden wir, nur wenige Schritte entfernt, beim “Kirchenwirt”, wo wir in der Tat be”wirtet” wurden. Das reichliche Mahl und die anstrengende Fahrt hatten an diesem Abend schnell ihr übriges getan. Es war Zeit, die wohltuende Nachtruhe am beschaulichen Achensee zu genießen.

Dienstag, 22. April 2014

Mit einer Morgenmesse um 7.30h in der hauseigenen Kapelle des Nothburgaheims sollte nicht nur unser Tag, sondern vor allem unsere Reise mit Gottes Segen unter den besten Voraussetzungen beginnen. Im Anschluss ein reichliches Frühstück und dann hiess es: Koffer wieder in die Autos laden, auf nach Innsbruck. Die Wetterbedingungen in Maurach verhiessen zwar nichts Gutes für unseren ersten Drehtag, unser Optimismus jedoch überstrahlte die düsteren Prognosen. Wir sollten Recht behalten! Kaum in Innsbruck angekommen, erwartete uns ein trockeneres und durchaus angenehmes Klima. Und ein herzliches Willkommen im Prämonstratenser-Chorherrenstift Wilten. Ein prachtvoller Empfang, so kann man es wohl – ohne Einschränkungen – nennen. Denn das barocke Kloster mit Kirche aus dem 17. Jahrhundert ist ein buchstäblich glänzendes Beispiel für stilvolles Ambiente. Und hier sollten wir die folgende Nacht verbringen. Ganz gute Aussichten, die sich uns dort boten. Und diese sollten uns den nötigen Schwung für einen arbeitsreichen Tag mitgeben.

Den wir im Übrigen um 12 Uhr mittags im Dom zu St. Jakob in Innsbruck starteten. Was hatten wir eigentlich vor? Nun, unsere Aufgabenstellung für diese Reise gestaltete sich vielfältig. Der Postulator eines Seligsprechungsprozesses, in der so genannten “Causa Reinisch” ist dies Prof. P. Dr. Heribert Niederschlag, muss alle historischen Fakten überprüfen. Dazu gehören auch Befragungen von Zeitzeugen, Nachfahren oder Verehrern. Entsprechende Termine hatten wir bereits im Vorfeld der Reise abgeklärt. Ganz wichtig ist es aber auch für die in den Prozess Involvierten, ein Gespür für den Menschen zu bekommen, der durch seinen Lebensweg oder eine Lebensentscheidung Zeichen gesetzt hat. Das kann man am besten, wenn man dessen prägnanten Lebens- und Wirkungsstätten besucht. Und um dem noch besser nachzuspüren gehörte der Bamberger Regens Martin Emge zum Team. Er beschäftigt sich mit Franz Reinisch bereits seit seinem 15. Lebensjahr – und mit ihm wurden uns Reinischs Lebenswege noch tiefer ergründbar. Pascal und Angela Nachtsheim hatten ihre Kameras dabei. Pascal ist ein erfahrener Kameramann und Produzent, Angela ist professionelle Fotografin. Ich selbst  (Anm.: Angela Marlier) war für den redaktionellen Teil unserer Dreharbeiten zuständig, d.h. Interviews führen und Augen und Ohren offen halten. Unser Ziel: das Leben und Wirken des Franz Reinisch nachhaltig zu dokumentieren. Seine Geschichte erzählen – auch in bewegten Bildern.

Der Dom zu Innsbruck bot dafür schon einmal ausreichend Material. Und man konnte sich vorstellen, wie feierlich, ja fast schon erhaben sich der damals 25jährige gefühlt haben musste, als er am 29. Juli 1928, am Fest Peter und Paul, durch Bischof Dr. Sigismund Waitz unter dem Gnadenbild “Maria Hilf” v. Lukas Kranach zum Priester geweiht wurde. In seinen Tagebuchaufzeichnungen aus dem Gefängnis schreibt er: “Marienliebe und Papsttreue gelobte ich dem Hohenpriester Jesus Christus an diesem Tage zum Danke für die überaus große Gnade, als Mittler zwischen Gott und Menschen bestellt worden zu sein.”

 Der Dom zu Innsbruck also ein wichtiger Meilenstein für Franz Reinisch. Für uns: ein weiterer Mosaikstein im Lebensbild des jungen Priesters – und: ein Treffpunkt mit einem Mann, der Franz Reinisch bereits seit langer Zeit verehrt und nun sogar ein Buch über ihn schreibt. Wir trafen Dr. Dr. Peter Pichler, Postpräsident a.d. und seit seiner Studienzeit Mitglied der Studenten-Kooperation “Leopoldina”, am Domplatz. Dieser Verbindung übrigens gehörte auch Franz Reinisch an. Dr.Dr. Pichler trägt seit jeher im Kreise seiner Cartellbrüder den geschichtsträchtigen Namen “Cicero”. Und dieser, mit scheinbar unversiegbarem Wissen und jeder Menge Durchhaltevermögen gesegnete Cicero sollte uns in den folgenden zwei Tagen Franz Reinischs Innsbruck noch näher bringen.

Nächster Halt in erweiterter Besetzung: die Theologische Fakultät mit der Jesuitenkirche gleich nebenan. Letztere spielte schon während seiner Kindheit eine Rolle in Franz’ Leben. Zum einen ist eine Seitenkapelle seinem Namenspatron Franz Xaver gewidmet. Außerdem nahm seine Mutter ihn jedes Jahr hierher zu den Maiandachten mit. “Da wuchs in mir eine ganz große Marienliebe, die mich zu stillen Betrachtungen drängte. Gerne sammelte ich Heiligenbildchen. Beim Anblick des Kreuzweges konnte ich einen Zorn bekommen auf die bösen Menschen, die den lieben Heiland so grausam quälten, und aus Mitleid bitterlich weinen, wenn ich Jesus und Maria auf dem Kreuzweg innerlich begleitete”, schreibt Franz 1942 in seinen Gefängnisaufzeichnungen. Prägende Momente, die damals vielleicht schon seinen Weg vorzeichneten und ihn nach dem Beginn eines Jura-Studiums und einem desillusionierenden Aufenthalt in Kiel zu einer Entscheidung für die Theologie motivierten. Im Herbst 1923 wird er an der Hochschule in Innsbruck sein Studium der Theologie und Philosophie beginnen – und gleich neben der erinnerungsträchtigen Jesuitenkirche Vorlesungen besuchen.

Zeitsprung. Wir reisen zurück in die Kindheit unseres Paters. 1909: Franz kommt in die Volksschule in der Gilmstraße. Wo man heute “wohl sitzt”, drückte der Siebenjährige die Schulbank. Sein Onkel Rudolf ist sein erster Lehrer – und der hat es nicht immer leicht mit dem Neffen. Franz gilt als streitsüchtig und legt sich offenbar gerne mit seinen Mitschülern an. Da fliegen auch schon einmal die kleinen Fäuste. Was ihn fasziniert, ist die Straßenbahn. Oder eher: deren Sicherheit. Diese stellt er nämlich gerne einmal auf die Probe, wenn er Steine auf die Gleise legt. Als jedoch eines Wintertages er und sein Vater nur knapp einem Trambahn-Unglück entgehen, bekommt der kleine Franz wohl das erste Mal eine Idee von der Vorsehung Gottes. Weil der Vater an einer Haltestelle nicht so lange auf die Bahn warten will, lotst er den Sohn zu Fuß zur nächsten. Auf halber Strecke jedoch fährt die Bahn vorbei. Um weitere Wartezeiten zu überbrücken überredet der Vater Franz dazu, zu einer weiteren Haltestelle zu laufen. Dort sehen sie die Straßenbahn eine steilabfallende Straße hinuntersausen. Der Wagen kommt ins Rutschen, stürzt um. Ein großes Unglück, das Pater Franz noch zwanzig Jahre später in einer Predigt über die göttliche Vorsehung thematisiert.

Zurück zur Studienzeit. Mit Beginn seines Jurastudiums im September 1922 wird Franz Mitglied der Studenten-Kooperation “Leopoldina”. Unser Weg führt uns an dem Verbindungshaus in der Bürgerstraße vorbei. Ein kurzer “Außenschuss”, wie es in der Sprache des Films und der Fotografie heißt (hierbei wird ein Gebäude, wie die Bezeichnung es vermuten lässt, von außen aufgenommen) und schon geht es weiter zu unserem nächsten Ziel auf dem Drehplan. Die “Leopoldina” soll erst am nächsten Tag intensiver unter die Lupe, oder besser vor das Objektiv, genommen werden. Und doch begegnet uns die Verbindung auch an unserem nächsten Stopp, der Johanneskirche. Hier erinnert eine Tafel an der Außenwand des Gotteshauses an gefallene Verbindungsbrüder und auch an drei, die von den Nazis grausam ermordet wurden: Engelbert Dollfuss (1932-1934 österreichischer Bundeskanzler) wurde in seinem Büro überfallen und erschossen. Rudolf von Mayer starb im August 1942 im KZ Ausschwitz. Und auch P. Franz Reinisch findet seinen Platz auf dieser Ehrentafel der “Leopoldina”. Seine Geschichte kennen wir.

Unser nächster Drehort markiert den entscheidenden Wendepunkt in P. Franz Reinischs Leben: die Herz-Jesu-Kirche der Redemptoristen in der Maximilianstraße 8. Hier feiert er seine letzte hl. Messe, bevor er sich in der Kaserne in Bad Kissingen meldet. Es ist der 14. April 1942. Eigentlich sollte er an diesem Tag schon längst zur Einberufung erschienen sein. Stattdessen zelebriert er seine Abschiedsmesse am Seitenaltar. Daran erinnern ein Relief und eine Inschrift an der ersten Säule im linken Seitenschiff vor dem Altar der Mutter von der Immmerwährenden Hilfe.

Was wird bei dieser letzten hl. Messe in P. Franz Reinisch vorgegangen sein, fragen wir uns – und nicht nur wir. Plötzlich kommt eine Gruppe junger Leute in die Kirche hinein, mit jeder Menge Neugier und auch ein paar Gitarren im Gepäck. Und sie sind keine Unbekannten, zumindest nicht für unseren Reinisch-Reisenden Regens Martin Emge. Er hat am Vorabend erfahren, dass eine Abordnung der Schönstatt-Mannesjugend in Innsbruck ist. Wir hatten uns auch schon mit den Jungs für den Abend verabredet. Doch dass wir sie schon am frühen Nachmittag zufällig treffen würden – ja, das kann man wohl getrost als glücklichen Zufall beschreiben. Für unsere Dreharbeiten bedeutete dieses unerwartete Treffen jedenfalls eine filmreife Vorlage für eine Planänderung. Die jungen Leute waren, wie wir, auf den Spuren Reinischs unterwegs. Sie hatten Musikinstrumente dabei und die “Reinisch-Hymne” so gut wie auf den Lippen (siehe auch hier eine ältere Aufnahme mit Reinisch-Anhängern aus der Gnadenkapelle) . Na dann: “Kamera läuft!”

Übrigens: in der Herz-Jesu-Kirche der Redemptoristen befindet sich im rückwärtigen Teil eine Lourdes-Kapelle mit einem Bild der Hl. Therese von Lisieux, die Franz sehr verehrte. Reinisch-Kenner werden sofort die richtige Verbindung erkennen: Zum einen Franz’ Wallfahrt nach Lourdes im Sommer 1928, als er sich darüber klar werden will, ob er dem Orden der Pallottiner beitreten soll. Ja, und es war die Lourdes-Grotte in Untermerzbach, an der er vorbeikam, als er im Noviziat dem Druck nicht mehr standhalten konnte und in einer Nacht- und Nebel-Aktion stiften gehen wollte. Und hier hörte er eine innere Stimme “Bleib!” – und: er blieb.

Nicht weit von der Herz-Jesu-Kirche der Redemptoristen befand sich das Haus der Familie in der Anichstraße. Die Reinischs wohnten parterre. Bis heute leben noch Familienmitglieder in dieser Straße und Franz Reinischs Bruder Andreas betrieb dort für viele Jahre seine Anwaltskanzlei.

Ein weiterer Schicksalsort in Reinischs hart umkämpfter Gewissensentscheidung: der städtische Westfriedhof. Franz besucht seine Eltern im April 1942 zum letzten Mal. Er geht mit ihnen zu dem Friedhof, betet mit ihnen den Kreuzweg. Sein Weg, um ihnen seine Entscheidung mitzuteilen. Angesichts der Kreuzweg-Darstellung des Leichnams Jesu im Schoß Mariens fragt er seine Mutter: “Kannst du auch eine Schmerzensmutter sein, die nicht zusammenbricht?” Seine Mutter darauf: “Wenn Gott mir die Kraft dazu gibt, dann werde ich es können.”

Ein weiterer Friedhof wartete noch auf uns an diesem Tag, nämlich der an der Basilika Wilten, nur einen Steinwurf von unserem überwältigenden Nachtquartier im Prämonstratenser-Chorherrenstift entfernt. Hier liegen Franz Reinischs Eltern begraben. Und auch an den mutigen Sohn wird gedacht. Eine Tafel an der Ummauerung des Friedhofs ehrt das Andenken an die Familie Reinisch. Allerdings sorgt sie vielleicht auch ein bisschen für Verwirrung. Die Inschrift vermittelt den Anschein, dass auch Franz hier ruht. Natürlich wissen alle Reinisch-Kenner, dass seine sterblichen Überreste im Jahre 1946 nach einer abenteuerlichen Bergung der Urne in Berlin-Brandenburg neben der Gnadenkapelle in Schönstatt beigesetzt wurden. Man könnte vermuten, dass die Eltern bis zu ihrem Tod im Jahre 1945 die Hoffnung nicht aufgegeben hatten, die Asche ihres Franz eines Tages in der Heimat beisetzen zu können. Vielleicht ist der Sohn aus diesem Grunde in der Inschrift erwähnt. Dies soll alles noch herauszufinden sein.

Es war zugegebenermaßen ein anstrengender erster (Dreh-)Tag auf den Spuren Franz Reinischs. Aber auch ein erfüllender: wir haben viele prägende Orte seiner jungen Jahre kennengelernt. Gute Gespräche geführt, auch vor der Kamera – mit dem Postpräsidenten a.D. Dr.Dr. Peter Pichler alias “Cicero”und auch mit Johannes Korn von der Schönstatt-Mannesjugend. Wir haben viel erfahren und auch viel “erspürt” von unserem Franz Reinisch. Und am Abend durften wir die Jungs, die uns am Nachmittag mit ihrem Gesang die richtige Würze für unser Filmprojekt geliefert hatten, auch noch einmal im Gespräch, moderiert von Regens Martin Emge, näher kennenlernen. Die Jugendlichen nutzten die Gelegenheit, Prof. P. Dr. Heribert Niederschlag über dessen Aufgaben als Postulator des Seligsprechungsverfahren zu befragen. Wir Medienschaffende, Pascal und die beiden Angelas, erzählten über das Filmprojekt und dessen Umsetzung. Ja, und auch die Jungs trugen ihren Teil zu einem lebhaften Gespräch bei. Jeder einzelne von ihnen, die engagierten Betreuer eingeschlossen, erklärte uns, was er eigentlich von P. Reinischs Gewissensentscheidung hält oder zu halten glaubt. Und die sehr differenzierten Antworten zeichneten ein Bild, dass Franz Reinischs Charakter vielleicht mit folgenden Attributen beschreiben könnte: begeisterungsfähig, hitzköpfig, bewundernswert, dickköpfig, mutig, vorbildlich, aber vielleicht auch – auf den ersten Blick – sehr leichtsinnig. Das alles wird er vielleicht gewesen sein, unser Franz Reinisch. Man kann sich an diesem Charakter offensichtlich ganz gut reiben. Eines ist sicher: auf seinen Spuren zu wandeln wird nicht langweilig, das wussten wir spätestens an diesem Abend. Und am nächsten Tag sollte dies noch deutlicher werden – mit einem Besuch bei seinem Neffen, ebenfalls Franz Reinisch.

Mittwoch, 23. April 2014

Bevor wir in den Tag starteten, wartete im Speisesaal des Prämonstratenser-Chorherrenstifts erst einmal ein kräftiges Frühstück auf uns – und Abt Raimund Schreier. Durch ihn erfuhren wir, dass sein Haus in der Vergangenheit bereits hochherrschaftliche Gäste beherbergt hatte, unter anderem den jüngst heilig gesprochenen Papst Johannes Paul II. Wir waren also mehr als zufriedene Übernachtungsgäste in, zugegebenermaßen, sehr guter Gesellschaft und durch die interessante Unterhaltung mit dem Abt inspiriert für weitere gute Gespräche an diesem Tag. Nachdem wir an einer bergigen Auffahrt oberhalb des Stiftes Aufnahmen von einer Reinisch-Gedenkstätte mit Relief und Mta-Bild gemacht hatten, trafen wir uns mit unserem Reinisch-Kenner und Stadtführer Dr. Dr. Pichler alias “Cicero”.

Er lotste uns zu einer ganz besonderen Adresse – dem Wohnort von Franz Reinisch. Der Sohn von P. Franz Reinischs Bruder Andreas teilt mit seinem Onkel nicht nur den Namen, sondern auch – da waren wir uns alle einig – das Aussehen. Der Neffe verehrt seinen Onkel sehr und wird nicht müde, dessen Geschichte in Vorträgen an Schulen und Institutionen oder durch Interviews mit Journalisten weiterhin in den Köpfen der Österreicher lebendig zu halten. Er habe ihm auch viel zu verdanken, so Reinisch. Der Innsbrucker ist der festen Überzeugung, seine lange glückliche Ehe basiere auf dem guten Einfluss seines Onkels. Als der Neffe nämlich vor vielen Jahren nach Schönstatt reiste, um das Grab von Pater Franz Reinisch zu besuchen und von dort aus auf die Suche nach weiteren Zeitzeugen in Deutschland zu gehen, zog es ihn ins Ruhrgebiet. Dort wollte er sich mit einer Familie treffen, die seinen Onkel gut gekannt hatte. Und das Mädchen, das ihm die Tür öffnete … nun, sie wurde seine Frau und blieb es 53 Jahre lang, bis zu ihrem Tod. Eine schöne Vorstellung, dass hierbei Pater Reinisch seine Finger mit im Spiel gehabt haben könnte, oder? Franz Reinisch hatte natürlich noch einiges mehr zu erzählen und tat dies auch bereitwillig vor der Kamera. Wie auch all die anderen Verehrer und Zeitzeugen, die wir trafen. Dazu gehörte im Übrigen auch der Innsbrucker Bischof Manfred Scheuer.

Mit Bischof Manfred Scheuer waren wir gegen 11 Uhr in dessen Residenz verabredet. Nun, wir sollten ihm schon etwas früher begegnen – und zwar mitten im belebten Innsbruck, in der Nähe des “Goldenen Dacherls”. Ein Zufall, der unsere Gruppe amüsierte und die vielen Touristen in der Stadt beschäftigte. Diese wurden von diesem ungewöhnlichen Bild eines in Amt und Würden herausstaffierten Bischofs in Begleitung eines Filmteams wie durch einen Schlüsselreiz sofort dazu animiert, hektisch in ihren Taschen herumwühlen – auf der wilden Suche nach einer Fotokamera.

Wir indes waren auf der Suche nach Verehrern von P. Franz Reinisch. Und Bischof Manfred Scheuer, der bereits als Postulator des Seligsprechungsverfahrens von Franz Jägerstätter agiert hatte, verlieh seiner Wertschätzung im Gespräch und auch im späteren Interview Ausdruck. Eine wichtige Unterstützung für die “Causa Reinisch”.

Am Nachmittag erwartete uns noch ein weiteres Treffen, mit Dr. Herwig van Staa, Landtagspräsident des österreichischen Bundeslandes Tirol – und: Mitglied der “Leopoldina”, also ein Verbindungsbruder von Dr. Dr. Peter Pichler alias “Cicero” und unserem P. Franz Reinisch. Auch im Interview mit ihm wurde die Verehrung für den Pallottiner-Pater deutlich zum Ausdruck gebracht. Dr. Herwig van Staa und die weiteren Mitglieder der “Leopoldina” sind starke Unterstützer des Seligsprechungsprozesses für P. Franz Reinisch.

Nach dem Interview mit Dr. van Staa hieß es nun langsam Abschied nehmen von Innsbruck und auch unserem wunderbaren Stadtführer “Cicero”. Noch ein paar Aufnahmen in der Basilika Wilten – und dann ging es weiter zu unserem nächsten Etappenpunkt: Brixen.

Am frühen Abend des dritten Tages unserer Reinisch-Reise empfing uns das wunderschöne Brixen in Südtirol mit Sonnenschein und mediterranem Wohlfühl-Klima. Übernachten wollten wir hier im sehr zentral gelegenen Priesterseminar. Hier verbrachte Pater Reinisch drei Jahre, bevor ihm 1928 an diesem Ort die Subdiakonatsweihe erteilt wurde. Bevor wir jedoch an diesem Tag ans Schlafengehen – in dieser für uns historischen Stätte – dachten, sorgten wir erst einmal dafür, dass wir dies nicht hungrig tun mussten. Im “Kutscherhof” ließen wir den Tag gemütlich ausklingen, bei einem stärkenden Mahl und guten Gesprächen.

Donnerstag, 24. April 2014

Brixen. Drei Jahre hat Pater Reinisch hier verbracht, prägende Jahre. Nachdem er in Innsbruck die philosophischen Fächer absolviert hat, wechselt er im Herbst 1925 in das Priesterseminar in der Kleinstadt in Südtirol. Hier studiert er in der alten Bibliothek, predigt von der nur durch einen Außeneingang zu erreichenden Kanzel in der Seminarkirche und versteht es auch, mit seinen Mitstudenten die Freizeit angenehm zu gestalten. Neue Bekanntschaften zeichnen seinen weiteren Lebensweg vor. Er schreibt in seinen Gefängnisaufzeichnungen: “Brixen war eine herrliche Zeit. Überdies waren 1925 – 1926 in meinem ersten Jahre auch Pallottinerfratres dort, worunter ein Fr. Weickgenannt mir besonders zusagte, weil er auch farbentragender Hochschulstudent war wie ich zu meiner Zeit der Universität. Mit diesem korrespondierte ich auch weiter, nachdem sie weggezogen waren.” Ein Schriftverkehr, der Blüten tragen wird. In Franz reift der Wunsch, der Gemeinschaft der Pallottiner anzugehören. Doch die Zeit in Brixen ist nicht gleichbleibend eine Zeit der Klarheit – sie steht auch für Reinischs Ringen um die Weihe.

Zu seinen plötzlich aufkommenden Zweifeln während seiner Zeit in Brixen schreibt Franz Reinisch in der Nachbetrachtung kurz vor seinem Tod: “(…) der endgültige Entschluß zum Priestertum wurde mir von Tag zu Tag schwerer, je näher die Entscheidung an mich herankam. Ich bat den Vorstand des Seminars, mir die niederen Weihen erst ein Jahr später geben zu lassen. Vielleicht bin ich dann klarer. Es begann das dritte Jahr Theologie. Ich nahm die niederen Weihen an. Doch das Subdiakonat stand wie eine unerfüllbare Forderung vor meiner Seele. Die vorbehaltlose Hingabe auf Lebenszeit, auf ewig, das schien mir zu schwer. Ich war nahe daran, auszutreten. Anfangs April 1928 wurde es auf einmal ruhig und klar in mir.” Am 13. Mai des Jahres wird Franz in der Seminarkirche die Subdiakonatsweihe erteilt. Die Krise scheint überwunden.

Die Spurensuche in Brixen führte uns auch auf eher ungewöhnliche Pfade. Wir wissen, Franz schrieb es in seinen Aufzeichnungen, dass er die Zeit im Priesterseminar als glückliche in Erinnerung behalten hat. Davon zeugen auch einige Fotos, die den jungen Mann relativ leger und offenbar entspannt in seiner Freizeit darstellen. Wir sehen ihn schneidig in Anzug und mit Stock vor einem Baum stehen. Wir betrachten eine Gruppe junger Seminaristen, die in der kalten Jahreszeit Schlittschuh laufen. Wo wurden die Bilder der Lebensfreude aufgenommen? Wir gingen auf die Suche.

Von Brixen nach Bozen. Dort verbringt der kleine Franz die ersten drei Jahre seines Lebens. Sein Vater, ein Finanzbeamter, wurde noch im Jahr der Geburt seines zweiten Sohnes, 1903, in die Stadt an der Südtiroler Weinstraße versetzt und blieb dort bis zum Jahre 1906. Die Familie bezieht die Villa Schaller in der Quireiner Straße 18. In diesem Haus, dass auch wir einmal von Nahem betrachten durften, wurden Franz’ Schwestern Maria Josefa (spätere Ordensfrau Sr. Agilberta bei den Kreuzschwestern in Hall) , Martha und Johanna Anna geboren. In der Pfarrkirche St. Augustin in Gries wurden die Mädchen getauft.

Auf den ersten Blick scheint die Zeit in Bozen keine nennenswerte, weichenstellende Phase im Leben des Franz Reinisch gewesen zu sein. Schließlich war er noch ein Kleinkind. Was soll damals schon sein weiteres Schicksal in großem Maße beeinflusst haben? Ein Trugschluss. Denn dort ist vermutlich bereits der Grundstein für seine Berufung gelegt worden. Als er nämlich im Kindesalter schwer erkrankt und durch die Pflege seiner Mutter wieder zu Kräften kommt, fasst diese einen schicksalsträchtigen Entschluss. Am Fronleichnamstag 1903 nimmt die Mutter ihren Sohn aus dem Kinderwagen heraus und hält ihn mit folgenden Worten dem Heiland hin: “Lieber Heiland, wenn du dieses Kind zum Priester nehmen willst, ich schenke es dir von Herzen.” Franz erfährt erst an seinem Primiztag von diesem lang gehüteten Geheimnis seiner Mutter.

In Bozen steht im Übrigen nicht nur das Wohnhaus seiner Kindheit, hier lebt auch ein Mann, der P. Franz Reinisch ein Denkmal gesetzt hat – ein musikalisches, um genau zu sein. Der Instrumente-Restaurateur und Musiker Klaus Walter verehrt den Pallottiner-Pater sehr und hat ihm aus diesem Grund bereits vor einigen Jahren ein Lied gewidmet: “O lieber Pater Franz”. Das Stück spielt er auf einer selbst entworfenen Spezialanfertigung, einer Violinzither. Das Instrument, ein Unikat – das selbst komponierte Lied ebenso. Im Interview erklärte uns der Bozener, dass P. Reinisch ihm in vielen schwierigen Lebenssituationen bereits weitergeholfen habe, seine Gebete also offenbar erhört wurden. Ein wunderbarer Glaubenszeuge, der uns an diesem Nachmittag in der Südtiroler Landeshauptstadt (auch gemeinsam mit seiner Frau, die mit seiner musikalischen Begleitung noch einen zünftigen Jodler für uns anstimmte) viel Freude und eine gute Begegnung bereitet hat.

Jede Reise nimmt einmal ein Ende. Leider auch unsere – vorerst. Denn es gibt noch viele Spuren, in Österreich, Südtirol und Deutschland, die Pater Reinisch hinterlassen hat und die wir noch gerne beschreiten möchten. Auf unserer ersten Etappe haben wir uns vor allem auf die Jahre seiner Jugend und seiner Ausbildung konzentriert. Wir haben nicht nur Orte besucht und abgefilmt. Wir haben dort auch den Geist Reinischs gespürt, haben versucht, uns vorzustellen, wie es ihm an diesem oder jenen Ort ergangen ist. Und nicht zuletzt haben wir Menschen getroffen, die uns ihr Bild von Franz Reinisch gezeichnet und unseres damit annähernd komplettiert haben. Annähernd, weil noch viele Facetten dieses Paters zu entdecken sind.

Eines ist sicher: P. Franz Reinisch hat viele – tiefe – Spuren hinterlassen. Dieser Mensch hat beeindruckt. Gedacht wird ihm wohl aus diesem Grund auch heute noch an vielen Orten seines Wirkens – und darüber hinaus. Wie zum Beispiel in Meran, dem letzten Ziel unserer Reinisch-Reise. Hier könnte vielleicht sogar schon bald ein Gästehaus des Pallotti-Heimes unter der Leitung von P. Karl Schmickler in “Reinisch-Haus” umbenannt werden. Derzeit wird dort fleißig renoviert und modernisiert. Ein wunderschöner Fleck, den es sich in jedem Fall zu besuchen lohnt.

Wir sind inzwischen wieder zurück in der Heimat. Doch die Eindrücke dieser Reise schwingen noch weiter nach. Sollen sie auch – unbedingt! Denn wir haben noch viel vor. Schon bald wird es hier unsere Eindrücke in bewegten Bildern geben. Eine große Film-Dokumentation über Franz Reinisch ist in Planung. Um diese fertigzustellen, werden wir noch einige Schritte gehen müssen, in Reinischs Spuren. Wir freuen uns darauf!

@ Franz Reinisch Forum 2025