Wer war Franz Reinisch? Aus welchen Quellen schöpfte er die Kraft für sein mutiges Zeugnis gegen Adolf Hitler und den Nationalsozialismus? Wir nehmen Sie hier mit auf eine spannende und bewegende Reise durch das Leben dieses Zeugens der Gewissenstreue. Es wird Ihnen auffallen, dass sein Lebensweg alles andere als ein einfacher Spaziergang war. Er durchlebte und durchlitt viele Höhen und Tiefen. Franz Reinisch war sich dabei aber immer einer Sache bewusst: Im Vertrauen auf Gott und die Muttergottes Maria kann er jeden noch so hohen Berg erklimmen und seine Entscheidung zur Verweigerung des Fahneneids durchstehen.
Am 01.02.1903 kommt Franz Reinisch als zweites Kind seiner Eltern Franz und Maria in Feldkirch, einer malerischen Stadt zwischen den Bergen des Vorarlberger Landes, auf die Welt. Er ist ein Sonntagskind. Am darauffolgenden Fest Mariä Lichtmess wird er in der Stadtpfarrkirche von Fedlkirch(später Domkirche St. Nikolaus) getauft. Schon kurz nach der Geburt zieht die Familie Reinisch nach Bozen um, weil Vater Franz, ein Finanzbeamter, dorthin versetzt wird. Dort erkrankt der kleine Franz schwer und nur die aufopfernde Pflege der Mutter erhält ihn am Leben. Der Beruf des Vaters führt die Familie 1906 nach Bruneck und 1908 nach Innsbruck, wo sie für mehrere Jahre bleiben.
Während der Vater den insgesamt fünf Kindern christliche Werte und Traditionen, ferner das Klavierspielen beibringt und die Liebe zur Natur vermittelt, ist die Mutter ihnen ein Vorbild durch ihre ruhige und fleißige Art. Sie geht mit ihren Kindern oft in die Kirche zum Gottesdienst oder zur Maiandacht. Durch solche Gelegenheiten wächst eine tiefe Marienliebe im Herzen von Franz Reinisch. Schon früh spielt Franz mit seinen Geschwistern „Messe“, wo er bei der Predigt schon einmal in Rage geraten kann, wenn seine Geschwister nicht aufmerksam zuhören. Ab September 1909 besucht Franz die Volksschule. Dort unterrichtet ihn sein Onkel Rudolf Reinisch, der sich dem Vater gegenüber skeptisch äußert und meint, dass aus Franz wohl nichts Gescheites werde. Er ist nämlich ein sehr lebhafter Junge, der sich gerne mit seinen Schulkameraden prügelt und Steine auf die Straßenbahnschienen legt, um aus einem sicheren Versteck zu beobachten, wie die Steine zermalmt werden.
In einer wirren Zeit rund um den Beginn des Ersten Weltkriegs wechselt Franz Reinisch mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Andreas, der ihm ein Vorbild war, auf das Gymnasium der Franziskaner in Hall. Sie wohnen beide im dortigen Internat und werden von den mit Lehrern als fleißig und brav beschrieben. Einen besonderen Eindruck hinterlässt bei den Jungen ein Franziskanerpater, der jedoch bald nach Bozen versetzt wird. Sie berichten einmal als Erwachsene, dass sie bei einem längeren Aufenthalt dieses Lehrers in Hall wohl in den Franziskanerorden eingetreten wären.
Im September 1919 verlassen Franz und sein Bruder das Internat und beziehen gemeinsam eine Wohnung. Nun beginnt eine Zeit größerer Freiheit für sie und jeder geht seinen eigenen Weg. Franz wird bald Mitglied der Gymnasialverbindung Sternkorona und bringt sich dort mit ganzem Herzen ein. In der Verbindung lernt er auch seine erste Liebe kennen. Während Andreas das Lernen sehr ernst nimmt, tut Franz nur das Nötigste für die Schule. Er besitzt ein heiteres, lebensfrohes aber auch leichtsinniges Gemüt. Darüber klagt seine neue Hauswirtin, zu der Franz 1920 wechselt. Er steigt schon mal nachts durchs Fenster in sein Zimmer ein, weil er zu spät nach Hause kommt und die Wirtin bereits abgeschlossen hat. Ein Jahr später wechselt er sein Quartier wiederum und hier war nun der Hausherr mit ihm sehr zufrieden.
Wenn die beiden Brüder in den Ferien zu Hause sind, müssen sie aufgrund mangelnden Brennstoffs Tannenzapfen sammeln. Sein Bruder Andreas berichtet hierüber: „Ich stieg auf die Bäume und warf die Tannenzapfen herunter. Wir hatten meistens bis drei Säcke mit. Franz sollte die Zapfen einfüllen. Als ich glaubte, genug abgeworfen zu haben, warf ich meinen Blick hinunter und zu meiner nicht geringen Überraschung sah ich, dass Franz noch nichts geschafft hatte. Im Gegenteil, in aller Gemütsruhe saß er unter dem Baum und verzehrte die ganze Tagesverpflegung.“
Seine Mitschüler sehen in Franz einen fröhlichen Menschen, der in seiner impulsiven und empfindsamen Art lauthals lachen und hemmungslos weinen konnte. Franz Reinisch selbst schaut gerne auf seine Jugendzeit zurück und trotz einiger leichtsinnigen Streiche hält er fest: „Eines blieb in mir wach, die Liebe zur marianischen Studentenkongregation und damit zur lieben Gottesmutter und zum eucharistischen Heiland.“
Franz Reinisch wird am 28. September 1922 an der Leopold-Franzens-Universität für das Jurastudium immatrikuliert. Er hätte lieber etwas im technischen Bereich studiert, allerdings will er seine Eltern wegen der einsetzenden Inflation nicht zu sehr belasten. So bleibt er zu Hause wohnen und studiert mit seinem Bruder in der Heimatstadt. Sofort tritt Franz in die Studentenverbindung „Leopoldina“ ein und führt dort ein Dasein voller Frohsinn, den er durch das ein oder andere Lied mit ins Elternhaus trägt. Dem Wahlspruch seiner Verbindung fügt Franz Reinisch noch Jesus und Maria hinzu und macht ihn so zum Wahlspruch seines eigenen Lebens: „Immobiles sicut patriae montes! – Unbeweglich wie die Berge unserer Heimat – steht unser Glaube an Jesus Christus und Maria“. Franz Reinisch kann ganze Nächte durchtanzen und ist dennoch genügsam beim Alkoholgenuss. Er achtet so stark auf sein Äußeres, dass er bis zu dreimal täglich die Kleidung wechselt und seine Schwestern ihm immer wieder die Hosen bügeln müssen. Es ist nicht verwunderlich, dass Franz bald die Aufmerksamkeit der jungen Damen auf sich zieht. In tiefer Freundschaft ist er nun mit dem evangelischen Mädchen Ludowika Lienhart verbunden.
Einen Wendepunkt in seinem Leben erfährt Franz Reinisch bei vierwöchigen Exerzitien Anfang 1923 in Wylen bei Basel. Dort kommt er innerlich zur Ruhe. Die Vorträge und der Wechsel zwischen Gebet und Arbeit im Haus werden für ihn zu einem tiefgehenden Erlebnis. Noch bewegt von diesen Eindrücken geht Franz Reinisch im Sommersemester 1923 nach Kiel und belegt dort das Fach Gerichtsmedizin. Die Verdorbenheit und das religiös-sittliche Elend dieser Stadt erschüttern ihn tief. Er will etwas gegen die Gottlosigkeit tun und die Menschen für Christus gewinnen. Als er im Juli 1923 nach Hause zurückkehrt, hat er den Entschluss gefasst, Priester zu werden.
Franz Reinisch beginnt im Wintersemester 1923/24 mit seinen philosophisch-theologischen Studien in Innsbruck. Er verliert auch in dieser Zeit seine Lebenslust nicht, sodass er lieber musiziert, mit anderen plaudert oder raucht als für die Prüfungen zu lernen. Im Herbst 1925 wechselt Franz Reinisch ins Priesterseminar nach Brixen, wo er nun weiter studiert. Kurz zuvor beendet er seine Beziehung zu Ludowika Lienhart. Im Seminar lernt er zum ersten Mal einige Pallottinerstudenten kennen, unter ihnen Fr. Richard Weickgenannt, dem er sich freundschaftlich verbunden fühlt. Weihnachten 1926 macht Franz Reinsch eine Wallfahrt nach Rom. Besonders die Papstaudienz bei Pius XI. beeindruckt ihn sehr. Später schreibt er im Gefängnis: „Dort erlebte ich die ganze Hingabe an den hl. Vater Pius XI. Seitdem ist mir das Geheimnis Petri ein Lieblingsgeheimnis geworden.“
Nach der Überwindung schwerer Zweifel bezüglich seiner Berufung, in denen er die fürbittende Hilfe der hl. Therese von Lisieux erfährt, wird Franz Reinisch am 02. Juni 1928 zum Diakon geweiht. Am 29. Juni desselben Jahres empfängt er in Innsbruck in der Pfarrkirche St. Jakob (heute Dom) von Bischof Sigismund Waitz die Priesterweihe. Zwei Tage später feiert Franz Reinisch in der ihm vertrauten Wiltener Pfarrkirche „Mariä Empfängnis“ seine Primiz. Nach der Hl. Messe soll eine unbekannte Frau seiner Mutter gesagt haben, dass ihr Franz einmal als Märtyrer sterben werde.
Franz Reinisch erhält neben vielen anderen Glückwünschen zur Priesterweihe auch einen Brief seines ehemaligen Studienkollegen, dem Pallottinerpater Richard Weickgenannt. Er schreibt darin: „Es würde mich freuen, Dich einmal als Mitbruder begrüßen zu können.“ Dieses Wort lässt Franz Reinisch nicht mehr los und nach einiger Zeit tritt er am 3. November 1928 ins Noviziat der Herz-Jesu-Provinz der Pallottiner in Untermerzbach bei Bamberg ein. Doch die Umstellung fällt ihm nicht leicht. In den ersten Wochen machen ihm der genau geregelte Tagesablauf und der Verzicht auf das Rauchen schwer zu schaffen. Franz ist ein leidenschaftlicher Raucher. Er ist schockiert, als er beim Eintritt ins Noviziat alle seine Zigaretten (etwa 150 Stück) abgeben muss. Nach drei Wochen hält er es nicht mehr aus und will fliehen. Die zwei Meter hohe Mauer hofft er schnell überwinden zu können. Er hat sich die Stelle vorher ausgesucht. Der erste Sprung missglückt. Als er sich eine bessere Stelle sucht, kommt er bei der Lourdes-Grotte vorbei. In seinem Innern hört er den Anruf: „Bleib!“ Er kann nicht mehr weiter und lässt von der Flucht ab. Von da an ist die Raucherleidenschaft überwunden. Im Wallfahrtsort Lourdes, der Franz Reinisch tief beeindruckte, hat er kurz nach seiner Priesterweihe den Entschluss gefasst, Pallottiner zu werden.
In der Gemeinschaft wird Franz Reinisch als froher und schlagfertiger Mitbruder wahrgenommen, der gerne den ein oder anderen Streich spielt. Er kann hervorragend Orgel spielen und leitet im Noviziat den Chor, der unter ihm nie kraftvoll genug singen konnte.
Am 8. Dezember 1930 legt Franz Reinisch die erste Profess ab und wird damit Pallottiner. Er bleibt noch zwei Jahre in Untermerzbach als Lektor für Philosophie und wechselt 1932 nach Salzburg, um sein Theologiestudium abzuschließen. Nachdem dies geschehen ist, wechselt P. Franz Reinisch am 9. Juli 1933 ins Provinzhaus der Pallottiner in Friedberg, wo er sich der Jugendarbeit widmen soll. Am 8. Dezember 1933 legt er in der Wallfahrtskirche “Herrgottsruh” in Friedberg die ewige Profess ab.
In Friedberg erfährt P. Franz Reinisch durch die Priesterzeitschrift „Sal terrae“ von der Schönstatt-Bewegung. Er soll damals ausgerufen haben: „Heureka!“ (griechisch: Ich hab´s gefunden!). Denn hier findet er, was er schon lange gesucht hat: eine moderne kirchliche Erneuerungsbewegung, die gegenüber den Gleichschaltungstendenzen der Nazis die Freiheit des Einzelnen und das Persönlichkeitsprofil favorisiert und gegenüber dem Führerprinzip die eindeutige Ausrichtung auf Christus. P. Franz Reinisch möchte diese Bewegung und diesen Ort unbedingt einmal kennenlernen. So fährt er am 2. August 1934 nach Schönstatt. Der Besuch dort wird für ihn zum Beginn einer Wende seines spirituellen Lebens. Hier sieht er das Ideal Vinzenz Pallottis, Apostel für Christus heranzubilden, auf lebendige Weise verwirklicht. In seiner Begeisterung schreibt er: „Wer ein echter Pallottiner sein will, muss Schönstätter sein.“
Seine Begeisterung für die Schönstatt-Bewegung, gepaart mit seinem cholerischen Temperament und seinem asketisch-strengen Lebensstil führen dazu, dass P. Franz Reinisch nicht nur Freunde unter seinen Mitbrüdern hat. So wird er nach einigen Spannungen schon bald von Salzburg, wo er kurzzeitig als Spiritual der jungen Pallottinertheologen wirkte, nach Konstanz ins Schülerheim versetzt. Doch auch dort bleibt er nicht einmal ein Jahr. Seine nächste Versetzung, die ihn nach Schwäbisch Gmünd und auf den Hohenrechberg führt, währt auch nur neun Monate. Seine Oberen wollen, dass P. Franz Reinisch sich dort etwas erhole, denn in Konstanz plagten ihn zwei Monate ein Nierenleiden und eine Gürtelrose. Im November 1936 wird P. Franz Reinisch wiederum versetzt, und zwar nach Bruchsal, um dort in der Seelsorge tätig zu sein.
„Vereidigung ist Gottesdienst“, ließ im Herbst 1938 der katholische Mannheimer Militärpfarrer verlauten und für den feierlichen Treueschwur der Rekruten dort auf dem Schlosshof einen Altar aufbauen. „Du wirst und kannst diesen Schwur dem Führer mit Vertrauen schwören!“, so suchte er dem Nachwuchs der deutschen Wehrmacht etwaige Skrupel zu nehmen. „Der Führer weiß aus eigenster Erfahrung, was Krieg ist und heißt; er wird nicht spielen mit deinem Leben, das ihm verschworen ist.“ Und der Pfarrer fuhr fort: „Du wirst und kannst diesen Schwur mit Freuden leisten, weil du des Führers Parole kennst: Gegen den teuflischen Bolschewismus! Für unser liebes Vaterland, sein Recht, seinen Ruhm und seine Ehre!“
Drei Jahre vorher hatte der Freiburger Erzbischof Conrad Gröber – ein Exponent jener Fraktion der deutschen Bischöfe, die sich mit den Nazis zunächst zu arrangieren suchte und später auf diplomatischen Protest statt auf lauten öffentlichen Widerstand setzte – einen „übertriebenen und kraftlosen Pazifismus“ verdammt, „der im Krieg als solchem etwas Unerlaubtes und Widerchristliches erblickt und dem Unrecht die Herrschaft überlässt. Die katholischen Theologen haben immer den gerechten Krieg vom ungerechten Krieg unterschieden und es niemals in den Urteilsbereich des einzelnen mit seinen Kurzsichtigkeiten und Gefühlsstimmungen gelegt, im Kriegsfalle die Erlaubtheit oder das Unerlaubtsein zu erörtern, sondern die letzte Entscheidung der rechtmäßigen Obrigkeit überlassen.“
Es schien alles so einfach und klar. Millionen treuer Katholiken glaubten Hitler und seiner braunen Gefolgschaft vertrauensvoll die guten Absichten, zogen reinen Gewissens für ihn in den Krieg, verziehen ihm das, was von Judenhatz, Massakern und KZs an die Öffentlichkeit drang, bereitwillig als unangenehme Begleiterscheinung beim mühevollen Werk der nationalen Erneuerung: Bischöfe, Theologen, Gemeindepfarrer, Kanzelredner, Religionslehrer hatten sie ja in ihrer übergroßen Mehrheit ermutigt, die Zweifel beiseite zu lassen und freudig ihre Pflicht zu tun.
Ganz wenige Querköpfe aber waren nicht bereit, sich das selbstständige Denken austreiben und die persönliche Verantwortung abnehmen zu lassen. Gegen den übermächtigen Druck der öffentlichen Meinung, gegen den Zwang des „man macht das jetzt eben so“, gegen das ständige Trommelfeuer von guten Ratschlägen, freundlichen Ermunterungen und finsteren Drohungen von allen Seiten brachten sie es fertig, ihr Gewissen entscheiden zu lassen. Ließen sich auslachen, terrorisieren, im schlimmsten Fall einsperren und töten.
Einer von ihnen war der aus Tirol stammende Priester Franz Reinisch.
Franz Reinisch hat das Hitlerregime schon früh durchschaut. In Predigten macht er keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen die Nazi-Ideologie. Zu einer ersten Konfrontation mit der Gestapo kommt es im Juli 1937, als P. Franz Reinisch sich mutig für seinen verhafteten Hausrektor im Bruchsaler Polizeirevier einsetzt und dabei erreicht, dass ihm ein Mitbruder die Kommunion bringen darf.
P. Franz Reinisch war unter anderem ins Visier der Behörden gelangt, weil er wohl einmal über den durch einen Klumpfuß am Gehen behinderten Reichspropagandaminister Josef Goebbels gespottet hatte: „Eine Lüge hinkt durch das Land.“
Im August 1937 kehrt P. Franz Reinisch nach Friedberg zurück. Um ihn weiteren Nachforschungen der Gestapo zu entziehen, versetzen ihn seine Oberen nun in noch kürzeren Abständen. In den kommenden sechs Monaten ist er ständig unterwegs. Im April 1938 gelangt er wieder nach Untermerzbach, wo er sein Noviziat verbrachte. Dort überkommt ihn ein „Gefühl der Heimatlosigkeit und Ungeborgenheit“, sodass er wie bei seinem Fluchtversuch vor zehn Jahren wieder über den Austritt nachdenkt.
Die Wende kommt im November 1938, als er nach Schönstatt versetzt wird. Hier ist er in der Weltmission und der Männerseelsorge tätig. Er wird als ein begeisternder Redner und leidenschaftlicher Prediger wahrgenommen. In den Worten von Franz Reinisch gibt es kein „sowohl – als auch“, sondern nur ein „entweder – oder“: Nazi oder Christ.
P. Franz Reinischs offene Gegnerschaft gegenüber den Nazis bleibt nicht folgenlos. Am 3. April 1940 hält er in Winzeln (etwa 30 km von Rottweil entfernt) vor Männern einen Vortrag zum Thema: „Wer macht Geschichte? Was muss der katholische Mann und Jungmann tun? Wer will den Weltenbrand, die Weltkatastrophe? – Der Teufel mit seinem Anhang.“ Seine dort getroffenen Aussagen werden P. Franz Reinisch zum Verhängnis. Ein Spitzel hatte Meldung gemacht. Franz Reinisch spricht am 13. Juni 1940 ein zweites Mal in Winzeln und wird kurze Zeit später von der Koblenzer Gestapo vorgeladen. Beim stundenlangen Verhör zeigen sich die Beamten tief beeindruckt von der Haltung und Standfestigkeit P. Franz Reinischs. Man bietet ihm an: „Kommen Sie doch zu uns, solche Männer können wir brauchen!“ Solchen Überredungsversuchen entspricht P. Franz Reinisch natürlich nicht.
Wie ein schwerer Schlag trifft ihn dann am 12. September 1940, dem Fest Mariä Namen, eine Mitteilung der Geheimen Staatspolizei aus Berlin: Ihm wird in Bezugnahme auf seine Äußerungen in Winzeln vom 3. April ein Predigt- und Redeverbot im gesamten Reichsgebiet erteilt. P. Franz Reinisch muss eine Predigtwoche in Aachen direkt abbrechen und ist von nun an in seiner regen Seelsorgetätigkeit kaltgestellt. Er muss seine Arbeit für die Schönstätter Weltmission und für die Männer aufgeben, was ihn jedoch nicht untätig werden ließ. P. Franz Reinisch geht in den Untergrund und trifft sich deutschlandweit mit kleinen eingeweihten Gruppen zum Gespräch und zur Ermutigung. Außerdem übersetzt und verbreitet er Predigten des Papstes.
Eine weitreichende Konsequenz des Predigt- und Redeverbots besteht in der Unmöglichkeit, eine Pfarrstelle zu besetzen. Eine Befreiung vom Kriegsdienst ist aber nicht allen Geistlichen gestattet, sondern nur den Pfarrern. So erhält Franz Reinisch am 1. März 1941 den Bereitschaftsbefehl zur Einberufung in die Wehrmacht. Danach setzt er sich noch intensiver als bisher mit dem Fahneneid auseinander. In den Stürmen heftigster Emotionen der Angst, Beklemmung und der Furcht vor dem Versagen geben ihm das Gebet im Kapellchen in Schönstatt und Gespräche mit P. Kentenich, dem Gründer der Schönstatt-Bewegung, neue Kraft und Zuversicht. P. Franz Reinisch ringt sich endgültig zur Entscheidung durch, den Eid zu verweigern. Hitler ist für ihn ein Verbrecher, ein Antichrist. Seit dem 2. August 1934 gilt folgende Eidesformel: „Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, dass ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem obersten Befehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jeder Zeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.“ Die Oberen von P. Franz Reinisch fordern ihn zur Eidesleistung auf. Sie wollen sein Leben retten und ihre Gemeinschaft vor drohenden Repressalien schützen. P. Franz Reinisch lehnt ab. Er will und kann auf einen Mann wie Hitler keinen Eid leisten. Für seine Weigerung Hitler zu folgen und für das eindeutige Bekenntnis zu Christus ist er bereit, sein Leben einzusetzen. Das gebietet ihm sein Gewissen. Im kirchlichen Raum steht zu dieser Zeit die Berufung auf das Gewissen nicht hoch im Kurs und erst recht nicht die Verweigerung des Fahneneides. Darum verwundert es nicht, dass P. Franz Reinisch in den eigenen Reihen auf Unverständnis und Ablehnung stößt. Die staatlichen Behörden verlangten absoluten Gehorsam und ahndeten jede Abweichung.
Um P. Franz Reinisch vor einer Einberufung in die Wehrmacht zu schützen, versetzen ihn seine Oberen in den folgenden Monaten mehrfach kurzfristig. So ist P. Franz Reinisch zunächst in Außergefild im Böhmerwald tätig, danach in Abendberg bei Nürnberg und schließlich in Wegscheid im Bayerischen Wald.
Die Bemühungen der Oberen nutzen nichts. Nach einem zweiten Bereitschaftsbefehl vom 15. August 1941, wiederum ein Marienfest, erhält P. Franz Reinisch am 7. April 1942 den Gestellungsbefehl. Er soll sich am 14. April 1942 in Bad Kissingen in der Kaserne melden. Aus Protest trifft er erst einen Tag später dort ein und erklärt, dass er den Fahneneid nicht leisten werde. Er wird daraufhin inhaftiert. Wenige Tage später, am 20. April, dem Geburtstag des „Führers“, bekräftigt er noch einmal seine Entscheidung, den Eid zu verweigern. Er will sie verstanden wissen als Entscheidung für Christus. P. Franz Reinisch wurde in Würzburg verhört. Der Kriegsgerichtsrat, Dr. Georg Anton Oehrlein, wollte selbst einmal Priester werden und versucht mit allen Mitteln, das Leben des Paters zu retten. Er will ihn umstimmen, doch P. Franz Reinisch widerlegt jeden Einwand mit gut durchdachten Argumenten.
Wenige Tage nach dem Verhör in Würzburg wird P. Franz Reinisch am 8. Mai 1942 ins Gefängnis nach Berlin-Tegel überstellt. Auf der Zugfahrt am Tag zuvor von Bad Kissingen aus begleitet ihn ein katholischer Feldwebel namens Sebastian Hauer. Dieser willigt ein, beim Zwischenstopp in Bamberg mit P. Franz Reinisch am späten Abend nach St. Gangolf zu gehen. Im Amtszimmer des Pfarrers kann P. Franz Reinisch heimlich die Hl. Messe feiern.
Im Gefängnis in Berlin lernt Pater Franz Reinisch den Gefängnisseelsorger Pfarrer Heinrich Kreutzberg kennen. Ihm kann er sich anvertrauen, denn Pfarrer Kreutzberg ist einer der wenigen Menschen, die Verständnis zeigen für ihn und die Verweigerung des Fahneneids auf Hitler. Außerdem ist er der Schönstatt-Bewegung verbunden. Auf seine Bitte hin beginnt Franz Reinisch mit seinen Gefängnisaufzeichnungen.
Der 7. Juli 1942 ist der Verhandlungstag vor dem Reichskriegsgericht Berlin-Charlottenburg im Fall P. Franz Reinisch. Dabei kommt es zu einer harten Debatte mit dem Senatspräsidenten, in der P. Franz Reinisch klar und begründet seinen Standpunkt darlegt. Jedoch steht das Urteil bereits fest. P. Franz Reinisch wird zum Tod durch das Fallbeil verurteilt.
Noch in der Zeit nach seiner Verurteilung zum Tode macht sich P. Franz Reinisch erneut Gedanken, ob seine Entscheidung richtig ist. „Ich weiß, dass viele Geistliche anders denken als ich; aber sooft ich auch mein Gewissen überprüfe, ich kann zu keinem anderen Urteil kommen. Und gegen mein Gewissen kann und will ich mit Gottes Gnade nicht handeln. Ich kann als Christ und Österreicher einem Mann wie Hitler niemals den Eid der Treue leisten. Denken Sie, was dieser Mann unserer Kirche und was er Österreich angetan hat. Einem solchen Menschen Treue geloben, das kann ich nicht… Es muss Menschen geben, die gegen den Missbrauch der Autorität protestieren; und ich fühle mich berufen zu diesem Protest.“
Am 11. August 1942 wird P. Franz Reinisch ins Zuchthaus Brandenburg-Görden verlegt. Der Abschiedsbrief kurz vor seinem Tod an die Eltern und Geschwister ist ein beeindruckendes Zeugnis seines bedingungslosen Vertrauens in Gott. Am Schluss des Briefes schreibt er: „Liebe Eltern, singt, betet ein Magnificat, wenn ihr an dieser Stelle angekommen seid. Gott ist unendlich gut. Der Heiland ist mein König in Ewigkeit und Maria, meine Königin voll Schönheit und Güte. Grüßt mir alle, denen ein Gruß von mir noch Freude macht. Es segnet Euch euer dankbarer und ewig froher Franz.”
Am 21. August 1942, morgens um 5:03, wird Pater Franz Reinisch mit dem Fallbeil hingerichtet.
Der Leichnam von P. Franz Reinisch wird verbrannt und die Urne wird auf dem Urnenfriedhof des Zuchthauses Brandenburg-Görden im Grab beigesetzt. P. Klaus Brantzen lässt die Urne unmittelbar nach der Kapitulation Deutschlands ausgraben und nimmt sie zu sich. Er ist zu dieser Zeit Kaplan in der Pfarrgemeinde St. Wilhelm von Berlin-Spandau. Danach wird sie in der Pfarrgemeinde St. Ludgerus von dem dortigen Schönstatt-Priester Pfarrer Rhode übernommen. Der Nachfolger von P. Klaus Brantzen als Kaplan in Berlin, P. Josef Schwan, bringt im April 1946 auf einer abenteuerlichen Fahrt die Urne nach Schönstatt, wo sie am 17. Oktober 1946 in unmittelbarer Nähe der Schönstattkapelle feierlich beigesetzt wird.